Das Programm unseres heurigen Frühjahrskonzertes vermittelt südländischen Flair, da es sich ausschließlich aus Musikstücken von Komponisten, die aus an das Mittelmeer angrenzenden Ländern – Spanien, Frankreich und Italien – kommen, zusammensetzt.
Im ersten Konzertteil sind dabei zwei Werke aus dem 20. Jahrhundert zu hören. Bei Ottorino Respighi denkt man hierzulande – wenn überhaupt – allenfalls an seine Tondichtungen „Die Pinien von Rom“ und „Die Brunnen von Rom“. Dass er im frühen 20. Jahrhundert zweifellos der führende (und auch meistgeschätzte) Komponist Italiens (insbesondere was die Instrumentalmusik betrifft) war (und auch eine große Fülle anderer, durch ihre farbenprächtige Instrumentierung beeindruckende Orchesterwerke komponiert hat), ist heute zumindest bei uns weitgehend unbekannt; der Musikschriftsteller Kurt Pahlen nannte ihn den „Sänger Roms“.
Respighi studierte zunächst in Bologna Violine, Viola und Komposition, und erhielt seine ersten Anstellungen als Solobratschist, u. a. 1900 auch im Orchester der Kaiserlichen Oper in St. Petersburg. Dort begegnete er auch Nikolai Rimski-Korsakow, der ihm private Kompositionsunterrichtsstunden gab. Die großartige Instrumentierungskunst Respighis hat ihre Wurzeln in diesen Eindrücken, die er dabei gewonnen hat. 1902 studierte er weiters für kurze Zeit bei Max Bruch in Berlin.
Als Respighi wieder nach Bologna zurückkehrte, widmete er sich zunächst seiner Solokarriere als Geiger, ehe er – durch sein wachsendes Interesse an der Instrumentalmusik des Barocks und der Klassik – sich zunehmend dem Komponieren zuwandte. Er erhielt 1913 eine Professur in Rom und heiratete 1919 seine Schülerin, die Sängerin Elsa Olivieri-Sangiacomo. Sie interpretierte zahlreiche Werke Respighis (der dabei als Klavierbegleiter auftrat) und übernahm das Management für Respighis Karriere als Dirigent und Interpret eigener Werke. Nach Respighis frühem Tod – er starb an einem Herzleiden – kümmerte sie sich – ihn um sechs Jahrzehnte überlebend – intensiv um die Pflege seines musikalischen Erbes. Die Wertschätzung für Respighis Orchesterwerke zeigte sich auch darin, dass der große Dirigent Arturo Toscanini auch etliche seiner Werke zur Uraufführung brachte.
Schon seit seiner Bologneser Studienzeit hatte sich Respighi sehr für Alte Musik interessiert (damals noch eher eine Ausnahme unter den Musikern seiner Zeit). 1908 legte er Bearbeitungen von Violinsonaten Locatellis, Tartinis, u. a. vor; später befasste er sich mit Opern von Cimarosa, Paisiello und Monteverdi. Zwischen 1916 und 1931 nahm er sich alter Lautentabulaturen aus der italienischen und französischen Renaissance an und formte sie zu den drei Instrumentalsuiten Antiche aria e danze (Alte Tänze und Arien). Ihm ging es dabei nicht um die Wiederbelebung des „Originalklanges“ (von solchen Strömungen war man damals noch weit entfernt), er war vielmehr daran interessiert, Musikschätze der Renaissance und des Barocks aus der Vergessenheit zu holen (damals eine Pionierleistung) und sie in modernem Gewande erklingen zu lassen.
Die heute zu hörende Erste Suite aus dem Jahre 1917 bearbeitet Lautensätze aus dem 16. Jahrhundert. Der erste Satz behandelt Themen aus dem Balleto detto „Il Conde Orlando“ von Molinaro (1565-1615), einem Kapellmeister aus Genua; der zweite Satz bearbeitet eine Gagliarda (einen ausgelassenen und kecken Werbetanz des 16. und 17. Jahrhunderts, der pantomimisch ausgeführt wurde; im Dreiertakt stehend, meist dreiteilig und homophon) von Vincenzo Galiliei (gestorben 1591), dem Vater des Naturwissenschaftlers Galileo Galileis. Der dritte Satz arbeitet eine Villanella (im 16. Jahrhundert eine der volkstümlichen mehrstimmigen Liedformen Italiens, meist ein Strophenlied mit einer starken Tendenz zur Parodie auf die niederen Stände; auch als „neapolitanischer Straßengesang“ bezeichnet) aus. Der muntere Schlusssatz übernimmt schließlich einen höfischen Passo mezzo (ein schneller, geradtaktiger italienischer Schreittanz des 16. und des ersten Drittels des 17. Jahrhunderts, für den die Variation der Melodie über einer gegebenen Basslinie - Basso ostinato – charakteristisch war) und eine Mascherada (also ein Maskentanz).
Alle vier Sätze haben eine sehr unterschiedliche Instrumentierung (wobei als barockes Element auch das Cembalo vertreten ist). Mit Ausnahme des Schlusssatzes herrschen in dieser ersten Suite kammermusikalische Bestzungen vor; bereits deren virtuose Behandlung vermittelt eine Vorstellung vom Klangreichtum der groß besetzten Orchesterwerke Respighis.
Das Concierto de Aranjuez kann sicherlich als eines der populärsten Werke des 20. Jahrhunderts gelten; jedenfalls ist es das beliebteste und am meisten gespielte Werk des spanischen Komponisten Joaquin Rodrigo Vidre. Zu jener Zeit, als Respighi in St. Petersburg war, wurde Rodrigo in der Provinz Valencia geboren; schon mit drei Jahren erblindete er infolge einer Diphterie-Erkrankung. Dennoch studierte er Komposition und Klavier zunächst in Valencia, dann in Paris, u. a. bei Paul Dukas (der durch sein Werk „Der Zauberlehrling“ bekannt ist). Dort begegnete er einerseits dem bedeutendsten spanischen Komponisten seiner Zeit, dem 25 Jahre älteren Manuel de Falla, andererseits seiner zukünftigen Ehefrau, der jüdisch-türkischen Pianistin Victoria Kamhi, die er als „sein Augenlicht“ bezeichnete. Nach Studienreisen durch ganz Mittel- und Westeuropa kehrte das Paar zunächst nach Valencia zurück und ließ sich 1939 in Madrid nieder, wo Rodrigo neben seiner Kompositionstätigkeit als Professor für Musikgeschichte, Musikkritiker und Leiter der Musikabteilung beim Radio tätig war.
Das Concierto de Aranjuez für Gitarre und Orchester entstand auf Anregung seines Freundes, des Gitarristen Regino Sáinz de la Maza (1896-1981), der bei der viel umjubelten Uraufführung 1940 auch den Solopart spielte. Rodrigo beschreibt in ihm die Gärten des Königlichen Palastes Aranjuez südlich von Madrid, der Frühjahrsresidenz der spanischen Könige. Zum einen verkörperte Aranjuez für Rodrigo eine von ihm sehr geschätzte Epoche der spanischen Geschichte (der Regierungszeit der letzten spanischen Herrschaft vor Napoleon), zum anderen fühlte er sich dem Palast auch aus persönlichen Gründen sehr verbunden, war er doch mit seiner Ehefrau dort oft spazieren gegangen.
Das Konzert hat äußerlich die traditionelle, dreisätzige Form schnell-langsam-schnell. Das Problem, ein gegenüber einem Sinfonieorchester viel zu leise klingendes Instrument in einen ausgewogenen Zusammenklang mit diesem zu integrieren, löste Rodrigo, indem er zwischen den Tuttistellen die Gitarre weitgehend nur mit kleinen Gruppen leiserer Instrumente zusammen spielen lässt.
Der erste Satz in klassischer Sonatenhauptsatzform ist ein lebhafter Fandango (eine regionale Ausprägung des Flamencos). Der langsame zweite, in klagendem h-moll gehaltene Satz beginnt mit einer Englischhornmelodie, die eine Reflexion der Saeta, des Klagegesanges während der alljährlichen andalusischen Prozessionen in der Karwoche, darstellt. Rodrigo beschreibt hier seine Gefühle rund um die Fehlgeburt seines erstgeborenen Sohnes und um die Bitte an Gott, dass er seine geliebte Ehefrau am Leben lassen möge. Der Schlusssatz schließlich ist ein heiteres Rondo im Stil eines höfischen Tanzes, der von unregelmäßigen Takt- und Rhythmuswechseln gekennzeichnet ist. Das Konzert ist bei Gitarristen auch deswegen so beliebt, weil Rodrigo alle Facetten der Spielmöglichkeiten des Instrumentes ausreizt, von akkordischen Spielweisen bis zu virtuosen Skalen, die nur mit meisterhafter Gitarrentechnik ausführbar sind.
Das Werk vermittelt dem Zuhörer auch den typischen Personalstil Rodrigos, in dem er - unter dem Einfluss von Dukas und de Falla – Neoklassizismus mit spanischer Folklore verband. Gleichzeitig orientiert er sich an der Volksmusik (insbesondere tänzerischer Art) mit ihren einprägsamen Melodiebildungen. Die Instrumentierung ist stets klar und eher kammermusikalisch, aber trotzdem sehr farbig. Rodrigos Werke stehen im Rahmen der Tonalität, wobei er die Harmonik aber gerne mit leichten Dissonanzen anreichert.
Georges Bizet ist einer der bedeutendsten französischen Komponisten der Romantik. Schon mit 10 Jahren wurde er Schüler am Pariser Konservatorium, wobei er im Laufe der Jahre zahlreiche Preise gewann (u. a. 1857 den Rom-Preis, der ein Stipendium zu einem Studienaufenthalt in der „Ewigen Stadt“ darstellte). Wahrscheinlich als „studentische Hausaufgabe“ schuf er – quasi aus dem Handgelenk - im wenigen Wochen im November 1855 – also mit gerade einmal 17 Jahren – die heute gespielte Sinfonie in C-Dur; ein hinreißendes, von jugendlichem Schwung überschäumendes Werk, das zwar klassizistische Vorbilder hat, aber eine aber überaus eigenständige Tonsprache mit zahlreichen musikalischen Überraschungseffekten aufweist. Bizet hat dieses Werk nie veröffentlicht. Es ruhte – der Öffentlichkeit völlig unbekannt – zunächst bei Reynaldo Hahn, einem guten Freund von Bizets Sohn, der die autographe Partitur 1933 (zusammen mit anderen unveröffentlichten Werken Bizets) der Pariser Konservatoriumsbibliothek schenkte. Ihr künstlerischer Wert wurde aber erst vom Glasgower Musikschriftsteller D. C. Parker, der die erste englische Biographie von Georges Bizet schrieb, erkannt, der seinerseits den Dirigenten Felix Weingartner auf das Werk aufmerksam machte. Weingartner brachte die Sinfonie dann am 26. Februar 1955 – fast acht Jahrzehnte nach ihrer Entstehung – in Basel zur Uraufführung; seitdem erfreut sich das Werk einer großen wie auch wohlverdienten Beliebtheit.
Ab ca. 1859 wurde Bizets überaus erfolgreiche erste Schaffensphase von einer Periode mit starken Selbstzweifeln und auch vielen Misserfolgen abgelöst, die – mit nur wenigen Unterbrechungen – bis zu seinem frühen Tod (er erlag einem Herzanfall, wobei er davor schon jahrelang durch eine chronische, immer wieder akut werdende Halskrankheit gepeinigt worden war) reichte. So unternahm er 1859 zwei Versuche, eine weitere Sinfonie zu schreiben, zerstörte die Manuskripte aber im Dezember desselben Jahres wieder.
Selbst sein heute bekanntestes Werk, die Oper „Carmen“, die wenige Monate vor Bizets Tod uraufgeführt wurde, war zunächst eher ein Misserfolg. Schon in der Probenphase sperrte sich das Orchester gegen die für seine Verhältnisse ungewöhnlich schwierige Musik, und auch der Chor revoltierte, weil er nicht nur singen, sondern auch agieren sollte. Das Publikum erwartete eine „Opera comique“ und war durch die realistische Millieuschilderung, Dramatik und schicksalhafte Tragik (die einen revolutionären Bruch mit dieser Operngattung darstellte und „Carmen“ zum Vorläufer des Verismo machte) irritiert.
Erst nach der Wiener Inszenierung im Oktober 1875 trat die Oper ihren Siegeszug an. Da war Bizet – dessen überragende pianistische Fähigkeiten heute völlig vergessen sind - jedoch bereits verstorben. Immerhin scheint Paris ein schlechtes Gewissen gehabt zu haben – 4000 Menschen begleiteten Bizet zu seiner letzten Ruhestätte auf dem Friedhof Père Lachaise.
Die Beliebtheit der Melodien aus der Oper führte auch zur deren Zusammenstellung zu zwei Orchestersuiten, die durch den französischen Komponisten Ernest Guiraud (1837-1892), einem Freund Bizets, in den Jahren 1882 und 1887 erfolgte, wobei er Bizets Instrumentierung aus der Oper fast unverändert übernahm.
Die heute zu hörende 1. Orchestersuite aus Carmen besteht aus sechs Abschnitten. Den Beginn macht das „Schicksalsmotiv“ aus dem Vorspiel zum 1. Akt; dann folgt die Aragonaise (ein für die Region Aragon typischer, von Castagnetten begleiteter Tanz im Dreiertakt) aus dem Preludium zum 4. Akt. Das Intermezzo stammt aus dem Vorspiel zum 3. Akt der Oper, die Seguedille aus dem 1. Akt, wo die – nach einer Messerstecherei - inhaftierte Carmen Don José umgarnt und ihn überredet, ihr die Flucht zu ermöglichen und ihm – der eigentlich mit der seriösen Micaela liiert ist – dafür eine heiße und wundervolle Nacht in der Schenke eines Freundes namens Lillas Pasta verspricht. Die „Drachen von Alcala“ bilden das Vorspiel zum 2. Akt, ehe das – in der Oper an mehreren Stellen auftauchende - Stierkämpferthema (samt dem „Zug der Toreadors“) die Suite zu einem glanzvollen Abschluss bringt.
v. l. n. r.: Ottorino Respighi, Joaquin Rodrigo, Georges Bizet