Als Hauptwerk des heutigen Konzertes steht Schuberts „Große“ C-Dur-Sinfonie am Programm - genau ein Dritteljahrhundert nach der letzten Aufführung durch das ASO. Ihm vorangestellt sind zwei italienische Musikstücke - eine Ouvertüre von Gioachino Rossini, der wenige Jahre vor der Entstehung von Schuberts Meisterwerk Wien besucht und hier mit seinen Opern berauschende Erfolge erzielt hatte, sowie eine Suite von Ottorini Respighi, mit der wieder einmal ein reines Streichorchesterstück auf einem ASO-Programm steht (das Orchester verzichtet diesmal, nicht zuletzt aus seiner Finanzsituation heraus resultierend, bewusst auf die Aufführung eines Solokonzertes).
Gioachino Rossini war einer der bedeutendsten Opernkomponisten des italienischen Belcanto. Als er 1815, gerade einmal 23jährig, die Leitung der beiden Opernhäuser in Neapel übernahm, hatte er bereits 15, großteils äußerst erfolgreiche Opern komponiert. 1822 reiste er gemeinsam mit seiner Ehefrau Isabella Colbran - der Primadonna seiner neapolitanischen Opern - sowie zwei Tenören nach Wien, wo eine Rossini-Saison am Kärntnertortheater organisiert worden war, die ganz Wien in einen „Rossini-Rausch“ versetzte. Franz Schubert wurde von Rossini bei diesem Wienaufenthalt keines Besuches gewürdigt, sehr wohl aber der - bereits völlig ertaubte - Ludwig van Beethoven, der sich verschiedene Partituren Rossinis durchgesehen hatte. Er riet Rossini, sich „ausschließlich auf komische Opern zu beschränken“, denn „die ernste Oper liegt nun einmal den Italienern nicht. Um das wahre Drama zu behandeln, haben sie zu geringe musikalische Kenntnisse…“.
Ein Jahr später ging das Ehepaar Rossini zunächst nach Paris, dann für fünf Monate nach London, wo sich die feine Gesellschaft um das Ehepaar scharte, und Rossini für die Aufführung seiner Werke fürstlich entlohnt wurde. Zurück in Paris übernahm er die Leitung der dortigen Italienischen Oper, zwei Jahre später wurde er königlicher Hofkomponist. 1829 entstand seine 39. und letzte Oper (Guillaume Tell), da ein Jahr später die Abdankung des französischen Königs im Verlauf der Julirevolution Rossini den Verlust seiner Ämter brachte. Es gelang ihm jedoch, gerichtlich eine lebenslange Rente durchzusetzen, die es ihm ermöglichte, sich noch fast vier Jahrzehnte hauptsächlich der Feinschmeckerei zu widmen; Kompositionen entstanden in diesem Lebensabschnitt nur mehr wenige.
Die Opera buffa „Il barbiere di Siviglia“ war eine Auftragsarbeit des Teatro Argentina in Rom. Wie zu dieser Zeit üblich sah der Vertrag (datiert am 15.12.1815) einen sehr engen Zeitrahmen vor - schon am 20.1.1816 hatte Rossini das fertige Werk zu übergeben, dessen Libretto bei Vertragsunterzeichnung zudem noch nicht einmal fertig war. In einem Brief an Richard Wagner erklärte Rossini Jahre später, dass er die Oper in 13 Tagen fertiggestellt habe. Die Uraufführung am 20.2.1816 war ein Fiasko - ein Sänger stolperte bei der Aufführung, fiel auf sein Gesicht und sang seine Partie stark blutend weiter, im Finale lief eine Katze zwischen den Sängern hin und her, und das Publikum „pfiff, lachte, applaudierte; hörte manchmal nicht zu und spendete dann wieder Beifall; sah mit Freude das Fließen von Blut und beschwerte sich gleichzeitig über die Geschmacklosigkeit“. Nach der zweiten Vorstellung jedoch zog eine große Menschenmenge zu Rossinis Hotel und jubelte ihm unter seinem Fenster zu.
Für diese Oper schrieb Rossini - vielleicht auch aus Zeitgründen - keine neue Ouvertüre; er verwendete jene seiner drei Jahre zuvor entstanden Oper „Aureliani in Palmiro“. Es existiert auch kein autographes Manuskript des Stückes; aufgrund der vielen, in der Instrumentation teilweise stark abweichenden Bearbeitungen lässt sich die Urfassung der „Sinfonia“ (wie Rossini seine instrumentalen Einleitungsstücke zumeist betitelte) auch nicht rekonstruieren. Sie weist aber die typische Form und den typischen Stil einer Rossini-Ouvertüre auf: Eine langsame Einleitung, auf die ein schneller Hauptteil folgt, und eine eigene Crescendo-Technik, die Rossini auch als Übergangskomponisten zwischen spätklassischem und romantischem Stil ausweist.
Ottorino Respighis Tonsprache entwickelte sich nach klassizistischen Frühwerken vor allem nach seinen Studien bei Nikolai Rimski-Korsakow in St. Petersburg zu einem klangfarbenreichen spätromantischen Stil, der auch vom französischen Impressionismus mitbeeinflusst war. Seine sinfonischen Dichtungen „Fontane di Roma“ und „Pini di Roma“ stehen in ihrer Kompositionskunst durchaus gleichberechtigt neben den Tondichtungen von Richard Strauss.
Schon in seiner Bologneser Studienzeit hatte sich Respighi für Alte Musik interessiert; 1908 legte er Bearbeitungen von Violinsonaten Locatellis und Tartinis vor, später befasste er sich mit Opern u. a. von Monteverdi und Cimarosa. Fragen der Authentizität oder der historischen Aufführungspraxis spielten damals noch kaum eine Rolle; es ging Respighi nicht um die Wiederbelebung des „Originalklanges“, vielmehr war er daran interessiert, Musikschätze aus der Vergessenheit zu holen und sie in modernem Gewande erklingen zu lassen. So entstanden die drei Suiten „Antiche danze ed arie per liuto“ („Alte Weisen und Tänze für Laute“), die mit dem Zusatz „Libera transcrizione per orchestra“ („Freie Bearbeitung für Orchester“) versehen waren. Während die ersten beiden Suiten (1917&23) groß besetzt sind, ist die heute gespielte, 1931 entstandene 3. Suite ein reines Streichorchesterwerk, in der Respighi wieder auf Lautensätze aus dem 16. und 17. Jahrhundert zurückgreift: Das populäre Lied „Italiana“ eines Anonymus, das Ballett „Arie di Corte“ von Jean-Baptiste Besard (aus sieben kontrastierenden Teilen bestehend), eine pastorale Sicilana (Anonymus) und eine Passacaglia des Gitarristen Lodovico Roncallis aus dem Jahre 1692.
Das Entstehungsjahr von Franz Schuberts „Großer C-Dur-Sinfonie“ - mit einer Spieldauer von knapp einer Stunde auch heute noch eines der längsten Instrumentalwerke der Musikgeschichte - war lange Zeit unklar. Auf der ersten Seite der im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien befindlichen autographen Partitur steht die Datierung „März 1828“ (also Schuberts Todesjahr). Untersuchungen am Papier ergaben aber, dass die Niederschrift schon einige Jahre früher erfolgt sein musste.
Im Frühjahr 1824 - zwei Jahre, nachdem Rossini Wien besucht hatte - schrieb Schubert an seinen Freund Leopold Kuppelwieser, dass er sich „über die Komposition mehrerer Instrumentalwerke den Weg zur großen Sinfonie“ bahnen wollte. In dem Brief ging es auch um die bevorstehende Uraufführung der monumentalen 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, der Schubert auch beiwohnte und von der er begeistert war. Da er zu diesem Zeitpunkt - trotz mehrerer klangschöner Sinfonien - noch immer „nur“ als Liedkomponist etabliert war, dürfte Schubert daran gedacht haben, sich über eine große Sinfonie mit Beethoven messen zu wollen. Darüber hinaus war es für ihn auch von existenzieller Notwendigkeit, ein ähnlich großes und erfolgreiches Konzert wie Beethoven geben zu können, für das ihm seine bisherigen Werke ungeeignet erschienen.
Das entsprechend umfangreiche und groß angelegte Werk dürfte dann 1825, als Schubert auf Sommerfrische in Gmunden und später in Bad Gastein war, in Angriff genommen, 1826 vollendet und gegen Ende dieses Jahres der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien übergeben worden sein. Diese legte das Werk - wohl aufgrund der Länge (das Publikum damals war viel kompaktere Musikwerke gewohnt) und der technischen Schwierigkeiten (durch die sich die Sinfonie als Übungswerk für die Schüler des Konservatoriums nicht eignete) - zunächst zurück; die Datierung „1828“ hatte ihre Ursache wohl entweder in einer nachträglichen Überarbeitung oder im Vorhaben, das Werk neu herauszugeben zu wollen. Nach Schuberts Tod verschwand die Sinfonie jedenfalls, ohne aufgeführt worden zu sein, im Wiener Archiv, und erst 1839 wurde Robert Schumann während seines Wienaufenthaltes von Schuberts Bruder Ferdinand auf die Existenz der Partitur hingewiesen. Schumann trat sofort an den Verlag Breitkopf & Härtel heran, um eine Veröffentlichung zu veranlassen; und es war wiederum Ferdinand Schubert, der Felix Mendelssohn-Bartholdy für das Werk begeisterte. Dieser brachte dann die Sinfonie - ungekürzt - am 21.3.1839 im Rahmen der Leipziger Gewandhauskonzerte mit großem Erfolg zur Uraufführung. Die ungewöhnliche Länge des Werkes stand seiner weiteren Verbreitung aber noch längere Zeit im Wege; erst Ende 1850 war sie in Wien erstmals in voller Länge zu hören.
Formal weist die Sinfonie keine Neuerungen auf - Schubert behielt die traditionelle Viersätzigkeit mit der üblichen Abfolge der einzelnen Sätze bei. Im Gegensatz zu den meisten anderen sinfonischen Werken der Klassik und Romantik liegen jedoch die Melodien sehr häufig vorzugsweise bei Bläserkantilenen, während die Streicher vieles an harmonischer und rhythmischer Grundstruktur - etwa in Form von Akkordzerlegungen - beizutragen haben. Mit 1154 Takten ist das abschließende Finale wohl einer der taktanzahlmäßig umfangreichsten Einzelsätze der Musikgeschichte.
v. l. n. r.: Gioachino Rossini, Ottorino Respighi, Franz Schubert