Amstettner Symphonieorchester



Frühlingskonzert 2009


Am Programm dieses Konzertes stehen drei Werke, deren Entstehung innerhalb eines Zeitraumes von knapp vier Jahrzehnten liegt und an denen der Zuhörer – innerhalb eines Konzertprogrammes - den stilistischen Übergang von der Klassik zur Romantik nachvollziehen kann. Im ersten Konzertteil erklingen dabei Kompositionen der beiden Jahresregenten Joseph Haydn (200. Todestag) und Felix Mendelssohn-Bartholdy (200. Geburtstag).

Joseph Haydn wurde 1761 vom Fürsten Paul Anton Esterhàzy als Kapellmeister für dessen Hofkapelle nach Eisenstadt verpflichtet. Vier Jahre später ließ sein Nachfolger südlich des Neusiedlersees das prächtige Schloss Esterhàza bauen, das fortan für ein Vierteljahrhundert Haydns Hauptwirkungsstätte war. Haydns Dienstvertrag würde man heute als sehr bedrückend empfinden; so musste er jede vom Fürsten „anbefohlene Kompositionen sofort ausführen“, durfte (ohne besondere Erlaubnis) nur für den Fürsten „und niemand anderen“ Werke schreiben, er hatte „immer in Uniform, mit weißen Strümpfen und allezeit sauber“ zu erscheinen, usw. Haydn war mit diesen Arbeitsumständen (und dem hohen Arbeitspensum – so leitete er in manchen Jahren 120 Opernabende vom Cembalo aus) jedoch nicht unzufrieden, denn einerseits garantierte ihm die Anstellung finanzielle Sicherheit (die Mozart, nachdem er den Bruch mit dem Salzburger Erzbischof provoziert hatte und seine dortige Anstellung aufgab, nie genießen konnte), andererseits hatte der Fürst Gespür und Einsicht genug, Haydn bei seiner Arbeit nicht unnötig zu behindern. Haydn schrieb im Alter selbst rückblickend auf seine Jahre in Esterhàza: „Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beyfall, konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen….“
Nur so konnte Haydn – v. a. auf dem Gebiet der Sinfonie und des Streichquartettes – unermüdlich experimentieren und seinen persönlichen Stil – wie auch die kompositorische Behandlungsweise der genannten Gattungen als Ganzes – zu höchster Vollendung reifen lassen.
Esterhàza war auch nicht eine weltabgeschiedene Gegend. Zwar durfte Haydn Wien nur hin und wieder (zusammen mit dem Fürsten) besuchen, aber in Esterhàza trafen sich kunstsinnige Menschen aus ganz Europa, deren Erfahrungsschatz - der allem Neuen stets aufgeschlossene - Haydn in sich aufsaugte. Haydn wurde so auch am gesamten Kontinent bekannt; man bestellte von ihm Werke u. a. in Paris, London, Moskau, Italien und Spanien.
Als Fürst Nikolaus 1790 starb (und sein kunstuninteressierter Nachfolger die Hofkapelle sofort auflöste), war Haydn (mit einer großzügigen Rente versehen) frei und zog nach Wien. 1791 und 1795 folgte er zweimal der Einladung des Londoner Konzertunternehmers Johann Peter Salomon für zwei ausgedehnte Konzertreisen nach London, für die er zweimal je sechs Sinfonien komponierte („12 Londoner Sinfonien“). In ihnen legte er die frühere Notwendigkeit, höfische Gebrauchsmusik schreiben zu müssen, ab, woraus kompositorisch vollendete, individuelle Werke wie die heute gespielte Sinfonie mit dem Paukenschlag, die für die erste London-Reise 1791 komponiert wurde, resultierten.
Formal folgt das Werk der üblichen Viersätzigkeit der Sinfonie: 1. Satz eine schnelle Sonatenhauptsatzform, der eine langsame Einleitung vorangestellt ist; 2. Satz ein langsamer Variationssatz, darauffolgend ein (in diesem Fall ländlich-rustikales) Menuett und als Schlusssatz ein sehr rasches, hier formal sehr frei gehandhabtes Rondo.
In den beiden Ecksätzen zeigt sich Haydns Meisterschaft, aus ganz einfachen Motiven durch ständige Variationen in Melodik und Klangfarbe einen ganzen Satz zu gestalten; so braucht er in der Sonatenhauptsatzform nicht einmal ein wirklich eigenständiges, gegensätzliches Seitenthema, weil ihm genügend Verwandlungsmöglichkeiten des Hauptthemas einfallen. Haydns schnelle Sinfoniesätze haben daher niemals eine gewisse Starrheit in ihrer formalen Gestaltung. Das Thema des 2. Satzes ist noch simpler, doch schließen sich daran mehrere ganz unterschiedliche Variationen an (1. Variation: Thema in 2. Violinen und Bratschen mit Umspielung von 1. Violine und Flöte; 2. Variation in Moll; 3. Variation: nur Violinen mit Gegenthema in Flöte/Oboe; 4. Variation: Tutti, Thema in den Bläsern; in der abschließenden Coda musizieren Oboe/Fagott das Thema nochmals über diesmal geänderten Streicherharmonien). Vom Beginn des 2. Satzes hat diese Sinfonie auch ihren Beinamen: nach einer ganz leisen Streichereinleitung schreckt ein gewaltiger Unisono-Ton des Orchestertuttis das Publikum auf.

Als Haydn ein Jahr nach dieser ersten Londonreise nach Wien zurückkehrte, fiel ihm (bei seiner Zwischenstation in Bonn) der damals 22jährige Ludwig van Beethoven als Organist und Komponist auf. Als Beethoven im selben Jahr nach Wien kam, war er für einige Zeit Haydns Schüler, der auch die Talente des jungen Beethoven selbstlos erkannte: „Ich werde ihm bald große Opern geben müssen. Dann aber, wenn er solche Werke schafft, werde ich wohl selbst aufhören müssen, zu komponieren, denn da verschwindet mein Können“.
Beethoven machte Furore als Klaviervirtuose und Komponist, wurde durch ein von Adelskreisen gestiftetes fixes Jahresgehalt an Wien gebunden und konnte sich – ohne finanzielle Sorgen und ohne der Notwendigkeit, Werke bis zu einem gewissen Zeitpunkt fertigzustellen – ganz dem Komponieren widmen.
Sein Violinkonzert in D-Dur entstand in zeitlicher Nachbarschaft zur 3. Sinfonie („Eroica“) und dem 4. Klavierkonzert, zu einer Zeit also, als Beethoven den Einfluss Mozarts und Haydns, der in seinen Frühwerken noch unverkennbar ist, bereits vollständig abgelegt hatte. Der geistige Umbruch im Gefolge der Französischen Revolution hat in den Werken Haydns kaum mehr Spuren hinterlassen – seine Spätwerke sind Reife und Vollendung. Beim jungen Beethoven hingegen bringt er einen neuen kompositorischen Stil hervor, der besonders beim Violinkonzert schon Richtung Romantik weist.
Das Werk entstand Ende 1806 (in der Zeit von nur wenigen Wochen) als Gelegenheitswerk für den Geiger Franz Clement, der Konzertmeister am Theater an der Wien war. Auf dem Titelblatt des Manuskripts vermerkte daher Beethoven auch: „Concerto par Clemenza pour Clement“ („Konzert aus Barmherzigkeit für Clement“). Das Werk dürfte – unter immensem Zeitdruck - erst unmittelbar vor der Uraufführung am 23.12.1806 fertig geworden sein, sodass es Clement angeblich „ohne vorherige Probe vom Blatt“ spielen musste.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Gattung des Violinkonzertes eine weitaus „kleinere“ als jene der Sinfonie oder des Klavierkonzertes. Der Charakter der Violine als Melodie- und Orchesterinstrument konnte im konzertanten Zusammenhang nicht eine so tragende Dialektik entwickeln wie etwa das Klavier. Diesem Umstand trug auch Beethoven insofern Rechnung, dass die Solovioline nicht wirklich dem Orchester gegenübersteht, sondern zumeist als führende Stimme - als Primus inter pares - in den Orchestergesamtklang eingebettet ist. Das thematische Geschehen wird über weite Strecken vom Orchester getragen, die Solostimme trägt hauptsächlich Begleitfiguren, Umspielungen, Auszierungen und Arpeggierungen (allerdings in höchster kompositorischer Vollendung) vor. Beethoven ging bei der Behandlung der Solostimme der bloßen virtuosen Wirkung entschieden aus dem Weg. Er legte den Schwerpunkt auf kantable Linienführung und sinfonische Einheit mit dem Orchester; die Melodienseligkeit der Solostimme trägt schon romantische Züge, und an dieses Werk wird – formal - dann später Brahms mit seinem Violinkonzert anknüpfen.
Der 1. Satz weist ein vereinfachtes Formschema auf, das eher eine - fast potpourriartige und scheinbar zusammenhangslose – Aneinanderreihung einzelner Themen als eine übliche Sonatensatzform ist. Insgesamt erscheinen sechs Themen, die ausnahmslos dem Orchester vorbehalten sind und nur hin und wieder im Verlaufe des – sehr ausgedehnten – Satzes auch von der Solovioline übernommen werden. Ein Kritiker der Uraufführung bemängelte deshalb auch: „…das Urtheil von Kennern…gesteht dem Concert manche Schönheiten zu…der Zusammenhang scheint aber oft ganz zerrissen…die unendlichen Wiederholungen…könnten leicht ermüden…wenn Beethoven auf diesem Weg fortwandelt, so werde er und das Publicum dabey übel fahren…jeder, der nicht genau mit den Regeln und Schwierigkeiten der Kunst vertraut ist, könnte gar keinen Genuß bey ihr finden, sondern durch eine Menge zusammenhängender und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult einiger Instrumente, die den Eingang charakterisieren sollten, zu Boden gedrückt, nur mit einem unangenehmen Gefühl der Ermattung das Concert verlassen…“. Der Kritiker (Johann Nepomuk Möser) gestand allerdings auch ein, dass „dem Publicum…dieses Concert…außerordentlich gefiel..“ Beethoven war jedoch selbst nicht ganz zufrieden mit seiner Komposition, die er ja aufgrund des Zeitdruckes weder proben noch „ausprobieren“ konnte. Er überarbeitete die Solostimme im 1. und 3. Satz und gestaltete v. a. die Figurationen abwechslungsreicher (so differenzierte er allzu mechanisch anmutende Sequenzketten, führte Gegenbewegungen ein, u. a.).
Nicht umgearbeitet wurde der 2. Satz, eine Romanze (die eine stilistische Verwandtschaft zu den beiden - einige Jahre vorher entstandenen - Violinromanzen zeigt). Es handelt sich um einen typischen Variationssatz, wo wiederum das Orchester das Thema innehat (zuerst Streicher, dann Klarinette, dann Fagott, dann das Orchestertutti), ehe endlich die Solovioline mit der Einführung eines zweiten Themas die Führungsrolle übernimmt. Diese hat sie auch am Beginn des 3. Satzes, wo sie ein lebhaftes Rondothema vorstellt, das aber sehr schnell vom Orchester aufgegriffen wird und der Solostimme von Beethoven wiederum v. a. Figurationen und Umspielungen zugedacht sind.
Am Beginn des 1. Satzes lässt sich auch eine instrumentationstechnische Weiterentwicklung gut zeigen: War bei Haydn der Streicherkörper noch fast ausschließlich Klangfundament (auch jedes Themas) und hatten die Bläser dort vor allem ergänzende Klangfarbenfunktion, indem sie Streicherstimmen verdoppelten, nimmt der differenzierte Klangfarbencharakter bei Beethoven bereits einen größeren Stellenwert ein. Er lässt nacheinander Pauke, Holzbläser, Streicher, dann wieder ein Holzbläserthema, usw. musizieren; auch diese Hebung der (solistisch-melodischen) Bedeutung der Bläser weist schon in die Romantik. Ein Thema wird hier – im Gegensatz zu Mendelssohn – aber noch von ein und derselben Instrumentengruppe fertiggespielt, also nicht auf verschiedene Instrumente (und damit Klangfarben) aufgeteilt.

Knapp vier Monate vor Haydns Tod wurde in Hamburg Felix Mendelssohn-Bartholdy geboren. Auch er verbrachte einige Zeit in London, wo er – wie Haydn – die dortige Aufführungstradition der Händel´schen Oratorien kennenlernte und diese mit seinen Werken „Elias“ und „Paulus“ auch dann weiterführte.
Von Mendelssohns Ouvertüren ist zunächst einmal jene zur „Sommernachtstraum“-Musik bekannt, die Mendelssohn bereits als 17jähriger schrieb. Seine Konzertouvertüren sind mehr als nur Gelegenheitsarbeiten; sie sind tonmalerische Stimmungsbilder mit einem großen Erfindungsreichtum ihrer Instrumentierung und formaler Anlage, die Zeugnis vom erweiterten Klangfarbenreichtum und der Klangsinnlichkeit der Frühromantik geben. So urteilte Felix Weingartner bereits 1898: „Hätte Mendelssohn seinen einsätzigen Orchesterstücken den glücklichen Titel Symphonische Dichtung gegeben, den Liszt später erfunden hat, so würde er…als Schöpfer der Programmmusik gefeiert…er hieße dann der “erste Moderne“ anstatt der “letzte Klassiker“.“
Im August 1829 besuchte Mendelssohn auf einer Studienreise Schottland und die ihr vorgelagerte Inselwelt der Inneren Hebriden, eine Landschaft, die von mildem Klima, ständigem Wind und reichlich Niederschlag geprägt ist. Neben einer Federzeichnung dieser Gegend skizzierte Mendelssohn auch ein – bereits vollständig instrumentiertes – 21taktiges Thema, das er später praktisch unverändert für die heute zu hörende Konzertouvertüre „Die Hebriden“ verwendete. Einen Tag später besuchte der – unter Seekrankheit leidende – Mendelssohn die wenige Hektar große, unbewohnte Insel Staffa. Sein Begleiter Carl Klingemann berichtete darüber: „Wir wurden in Booten ausgesetzt und kletterten am zischenden Meere auf den Pfeilerstümpfen zur sattsam berühmten Fingalshöhle…mit seinen vielen Pfeilern dem Innern einer ungeheuren Orgel zu vergleichen, schwarz, schallend und ganz zwecklos für sich alleine daliegend – das weite graue Meer darin und davor“.
Erst über ein Jahr später, als Mendelssohn am Beginn einer dreijährigen Europareise, die ihn nach Rom, Paris und London führen sollte, stand, griff er das skizzierte Thema wieder auf, und begann, an der Ouvertüre zu arbeiten. Die erste Fassung wurde im Dezember 1830 in Rom fertiggestellt; sie wurde in dieser Form von Mendelssohn aber nur einmal seinem Komponistenkollegen Hector Berlioz am Klavier vorgespielt. Danach bleib das Werk, für das Mendelssohn selbst einmal den Titel „Die Hebriden“, ein anderes Mal „Die Fingals-Höhle“ verwendete, für mehr als ein Jahr liegen. In Paris wollte er sie nicht aufführen, da er sie (wie Mendelssohn das bei vielen seiner Werke machte; unzählige Umarbeitungen zeigen das) als „nicht fertig“ betrachtete und seiner Schwester Fanny schrieb: „Der Mittelsatz…ist sehr dumm, und die…Durchführung schmeckt mehr nach Kontrapunkt als nach Thran und Möven…“. Diese Umarbeitung kam dann erst 1832 in London zustande, wo das Werk dann auch uraufgeführt wurde. Die Kritiker waren gespaltener Meinung. Mendelssohns Ouvertüre sei „deskriptive Musik, die ein ganz entschiedener Misserfolg war“, aber auch: „Wir hörten Geräusche von Wind und Wellen, da Musik in der Lage ist, diese direkt zu imitieren, und durch Assoziation waren wir eingenommen von Einsamkeit und alles durchdringender Finsternis“. Mendelssohn brachte wenig später eine Fassung für Klavier zu vier Händen heraus, einige kleinere Umänderungen in der Orchesterfassung erfolgten noch bis 1834 und zeigen, wie lange er an Werken feilte, ehe sie eine Gestalt annahmen, mit der Mendelssohn dann wirklich zufrieden gewesen sein dürfte.
Obwohl das Orchester noch dieselbe Besetzung wie zu Haydns und Beethovens Zeiten hat (keine Piccoloflöte, kein 3./4. Horn, keine Posaunen, kein erweitertes Schlagwerk), ist die Instrumentierungskunst und der Klangfarbenreichtum der „Hebriden“-Ouvertüre doch bereits deutlich differenzierter und reichhaltiger. Themen werden auch nicht mehr in ihrer ganzen Länge von einer Stimmgruppe gespielt, sondern auf verschiedene Instrumente aufgeteilt – ein typischer Wesenszug der romantischen Musik (z. B. Takt 33ff.: Melodie für 2 Takte in Oboe/Fagott, dann 2 Takte Violinen, dann Flöten/Oboen/Bratschen, dann 2 Takte Klarinetten/Fagott, dann Violinen, usw.). Innerhalb einer Stimmgruppe wechselt also oft innerhalb weniger Takte Hauptmelodie- und Begleitfunktion, wodurch sich ein völlig anderes Stimmengeflecht im Orchester ergibt als etwa 40 Jahre zuvor bei der Paukenschlagsinfonie Haydns.
Für den aufmerksamen Konzertbesucher bietet dieses Konzertprogramm daher die Möglichkeit, diese stilistischen Änderungen, die sich in wenigen Jahrzehnten vollzogen haben, bewusst nachzuvollziehen.

Fingals-Höhle

Die Fingals-Höhle auf der Hebrideninsel Staffa

Federskizze Mendelssohns von den Hebriden

Federskizze Mendelssohns vom 7.8.1829 von der Inselwelt der Hebriden



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