Programmeinführung Herbstkonzert 2018


Im ersten Teil des Konzertes sind Werke zweier Jahresregenten zu hören: Im heurigen Jahr jähren sich zum 100. Mal der Todestag von Claude Debussy sowie der Geburtstag von Gottfried von Einem.

Obwohl Gottfried von Einem wohl als der bedeutendste österreichische Nachkriegskomponist angesehen werden kann, ist – selbst in der kulturinteressierten Öffentlichkeit – kaum ein tiefergehendes Wissen über sein Leben und Schaffen vorhanden; und auch in seinem Jubiläumsjahr hält sich die Anzahl von Aufführungen seiner Werke in Grenzen.
Einem entstammte einer konservativ-monarchistischen Familie mit militärischer Tradition. Seine Mutter war die Tochter eines preußischen Generalleutnants; als sein Vater galt ein österreichischer Militärattaché (und späterer General), der zurzeit von Einems Geburt im schweizerischen Bern stationiert war. Erst im Alter von 20 Jahren erfuhr Gottfried im Zuge eines Gestapo-Verhöres, dass sein leiblicher Vater tatsächlich ein ungarischer Graf gewesen war (der 1927 in Khartum bei der Jagd von einem angeschossenen Löwen getötet worden war). Seine Kindheit und Jugend verbrachte Gottfried von Einem in Schleswig-Holstein, wo sich auch früh sein Wunsch, Komponist zu werden, manifestierte. Tief beeindruckte ihn ein Besuch der Bayreuther Festspiele 1934. Drei Jahre später reiste er nach Wien, um – als österreichischer Staatsbürger – seinen Militärdienst zu absolvieren. Dank seiner freundschaftlichen Kontakte zum Komponisten Werner Egk, der in der Reichsmusikkammer darauf Einfluss nahm, wurde Einem nach zwei Wochen als dienstuntauglich eingestuft und wurde auch später nicht zum Kriegsdienst eingezogen. Er ging nach Berlin, um bei Paul Hindemith Komposition zu studieren, doch wurde dieser auf Betreiben Joseph Goebbels´ suspendiert, sodass dieses Vorhaben scheiterte. So wurde Einem zunächst Assistent und Korrepetitor an der Berliner Oper, später auch bei den Bayreuther Festspielen. Ein Angebot, Kapellmeister des Stadttheaters in Kassel zu werden, schlug er aus, da er sich nicht zur Dirigentenlaufbahn, sondern ausschließlich zum Komponieren berufen fühlte. 1938 wurde Einem kurzfristig von der Gestapo festgenommen, dessen Gründe ihm nie mitgeteilt wurden. Die beklemmende Erfahrung eines Verhafteten, der den Grund seiner Festnahme nicht erfährt, setzte er später in seiner Oper „Der Prozess“ (nach Franz Kafka) um.
Ab 1941 nahm Gottfried von Einem Kompositionsunterricht bei Boris Blacher, der ihm ein enger Freund und Berater wurde, das Libretto für Einems Erfolgsoper „Dantons Tod“ schrieb, und bei dem er auch seine erste Frau, die Pianistin Lianne von Bismarck, die dann früh (1962) und plötzlich verstarb, kennenlernte. Blachers Unterricht beschränkte sich vor allem auf Kontrapunktstudien, die Einem zeitlebends sehr schätzte. Er war der Ansicht, dass „nur eine solide, regelkonforme Ausbildung in den klassischen Gattungen dazu befähigt, eigene, kreative Lösungen zu finden“.
Die letzten Kriegsmonate im Frühjahr 1945 verbrachte er in der Ramsau (bei Schladming). Da er nicht der NSDAP angehört hatte, wurde er nach Kriegsende von den amerikanischen Besatzungstruppen zum örtlichen Polizeichef ernannt und sollte als solcher ehemalige SS-Mitglieder ausforschen. Diese Aufgabe legte er jedoch bald nieder: „Da das Denunzieren zu meinem Amt gehört hätte, hörte ich einfach auf“.
Seinen Weltruhm als Komponist begründete er mit der Uraufführung seiner Oper „Dantons Tod“ bei den Salzburger Festspielen 1947, die als musikhistorisches Ereignis allerersten Ranges gilt. Unter dem Dirigat des jungen Ferenc Fricsay sangen u. a. Maria Cebotari und Julius Patzak; Einem empfand das Werk als Abrechnung mit der jüngsten Vergangenheit; als Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Totalitarismus, der in dem Werk durch die Gestalt Robespierres verkörpert wurde. Auch mit seinen weiteren Opern – u. a. „Der Prozess“, „Der Besuch der alten Dame“ und „Kabale und Liebe“ - hatte Einem großen Erfolg (die Uraufführung von „Jesu Hochzeit“ ist als Theaterskandal in Erinnerung geblieben), und diese Werke sind es auch, die heute noch von seinen Kompositionen am Häufigsten gespielt werden. Auch seine großen Chorwerke – allen voran das „Stundenlied“ (nach einem Text von Brecht) und „An die Nachgeborenen“ (eine Kantate, die Einem zur 30-Jahr-Feier der Vereinten Nationen in New York geschrieben hatte) – sind zuweilen zu hören, während seine sinfonischen Werke wie auch die Lieder und seine Kammermusik weitgehend vergessen sind.
Berthold Brecht ersuchte Einem, ihm einen österreichischen Pass zu besorgen, der sich im Gegenzug von ihm ein Werk für die Salzburger Festspiele erbat. Als diese Pläne konkreter wurden, gab es – auch seitens der Salzburger Politiker – vehementen Widerstand gegen die Einbürgerung Brechts (der daraufhin nach Berlin ging). Einem wurde vorgehalten, „ein Kommunist“ und „eine Schande für Österreich“ zu sein. Als sich Einem – der sich nie ein Blatt vor den Mund nahm und offen und deutlich seine Meinung zu sagen pflegte – gegen diese Vorwürfe emotional zur Wehr setzte, wurde er im Dezember 1951 wegen „schlechten Benehmens“ und wegen „Einführung des Trojanischen Pferdes in Form eines Kommunisten“ aus dem Salzburger Festspieldirektorium – dem er seit 1948 angehört hatte – ausgeschlossen. Gottfried von Einem ging daraufhin nach Wien, wo er u. a. eine Kompositionsprofessur an der Musikhochschule bekam. Jahrzehnte später entschuldigte sich der ehemalige Salzburger Landeshauptmann (und spätere Bundeskanzler) Josef Klaus bei Einem ausdrücklich und offiziell für die Ereignisse um Berthold Brecht.
Ab 1973 verbrachte Einem – der sich um parteipolitische Grenzziehungen nie kümmerte und sowohl z. B. zu Bruno Kreisky als auch Erhart Busek wie auch zu vielen Persönlichkeiten der Literaturszene und der Bildenden Kunst enge Kontakte und Freundschaften pflegte – zusammen mit seiner zweiten Frau, der Schriftstellerin Lotte Ingrisch, den Großteil seiner Zeit in einem alten Holzfällerhaus in Rindlberg (bei Karlstift). Hier im entlegensten Waldviertel nutzte er die Stille und Abgeschiedenheit zum Komponieren. Als der Neubau einer Straße den beiden dort den Aufenthalt verleidete, hielten sie nach einem neuen ländlichen Domizil Ausschau, das das Ehepaar in Oberdürnbach bei Maissau fand. Dort verbrachte Einem seine letzten Lebensjahre. Sein Grab befindet sich am Hietzinger Friedhof in Wien.
Gottfried von Einem lehnte die avancierte Moderne, die das Geräusch und das Experimentelle als kompositorisches Klangelement einbezog, stets ab: „Ich liebe eine schön gesungene Phrase, einen schön gespielten Streichersatz; warum soll man ein Orchester immer malträtieren, dass die mit ihren Bögen auf dem Boden oder in einem gefüllten oder leeren Klosett scharren?“ Die Rezension der heute zu hörenden „Philadelphia Symphony“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie schwer sich die Musikkritik im Umgang mit Einems Kompositionen tat.
Das Werk war ein Auftragswerk zum 104. Jahrestag der Academy of Music in Philadelphia und verdankt seine Entstehung der Freundschaft zwischen Einem und Eugene Ormandy, dem legendären Chefdirigenten des Philadelphia Orchestras. Da der Kartenverkauf jedoch wider Erwarten floppte und Ormandy einen Autounfall hatte, gelangte das Werk dann in Wien mit den Wiener Philharmonikern und unter dem Dirigat von Georg Solti zur Uraufführung. Einems „Dantons Tod“ lag 14 Jahre zurück, die meisten seiner anderen Opern waren aber noch nicht geschrieben. Das philharmonische Abonnementpublikum war wohl darauf eingestellt, „sich mit Duldsamkeit zu wappnen und das Gehör vorsorglich auf Abwehr zu schalten“. Doch es kam anders: Einem provozierte zwar, aber durch die vollkommene Verweigerung des Schocks. Das dreisätzige Werk erwies sich als strahlende, ohrenöffnende C-Dur-Sinfonie.
Die Irritation war beträchtlich, und die Kritiken waren sehr unterschiedlich: Ein „durchaus klangliches und klingendes Stück, das bewusst gegen den Trend geht“, ein Stück von „rebellischer und atemberaubender Kühnheit der Tonalität“. Andere setzten die Sinfonie nicht mit Courage gleich, sondern sprachen (abwertend) von „Konservativität, Konvention und Kapitulation“. Den Trupp enttäuschter Junger führte damals Karl Löbl an: „Für uns hatte Einem damals alle Chancen, ein wesentlicher und im besten Sinn moderner Komponist zu werden.“ Doch Einem habe sich „inzwischen für den bequemeren Weg des geringsten Widerstandes entschieden“; die Sinfonie sei ein „tiefer Bückling vor dem Publikum. Ich habe nichts gegen Wohlklang, solange er nicht die Kapitulation vor dem Mangel an persönlicher Aussage bedeutet. Aber ein Publikum, das Schostakowitsch für einen großen Komponisten hält, wird diesem Werk seine Anerkennung nicht versagen“. Auch Einems Freunde waren geteilter Meinung. Der Dirigent Rafael Kubelik konnte mit dem Stück „voll von Tonalität“ nichts anfangen, der Dichter Carl Zuckmayer hingegen zeigte sich begeistert: „Das Werk ist für mich eine Bestätigung der Überzeugung, dass die Musik nicht tot ist – also nicht nur in Form von Zeichen und Signalen elektronischer Provenienz, als signum technicum für Eingeweihte oder als Geheimcode weiterleben wird. Ein Könner wie Du kann also tonal, sogar melodisch musizieren und gleichzeitig ganz modern sein; Tradition und Erneuerung sind keine Gegensätze, sondern Elemente der stetigen, schöpferischen Evolution“.

Als Gottfried von Einem geboren wurde, war Claude Debussy schon jahrelang durch seine Darmkrebserkrankung gezeichnet und hatte nur mehr zwei Monate zu leben. Debussy – der als führender Vertreter des Impressionismus gilt – gehörte derselben Generation wie Richard Strauss und Gustav Mahler an. Allen drei gemeinsam war, dass sie die Musik der Romantik weiterentwickelten und neue Formen der Tonalität suchten (und fanden), wobei davon wohl Debussy den radikalsten „modernistischen“ Weg ging. Den Anstoß dazu gab offenbar die Pariser Weltausstellung 1889, wo er nachhaltig vom Klangbild eines javanischen Gamelan-Ensembles fasziniert wurde. Einem Freund schrieb er Jahre später: „Erinnere dich an die javanische Musik, die alle Nuancen enthielt, selbst solche, die man nicht benennen kann, bei der die Tonika und die Dominante nichts weiter sind als nutzlose Hirngespinste für Weinekinder, die nicht verständig sind“.
Seine „Petite Suite“ – ursprünglich ein Stück für Klavier zu 4 Händen, das später auch in der heute zu hörenden, farbenreichen Instrumentierung von Paul Henri Büsser eine weite Verbreitung fand - war jedoch noch unmittelbar vor der Pariser Weltausstellung – Debussy hatte gerade eine Affäre mit der jungen Bildhauerin und Malerin Camille Claudel – entstanden, sodass man in ihr Dinge wie nicht Dur-Moll-basierte Harmonik oder die Verwendung von Pentatonik und außereuropäischer Skalen vergeblich suchen wird. Es handelt sich um ein liebenswertes, gefälliges Stück, dessen Bilder – ein im Wellengang hin- und herwiegendes Boot, ein Aufmarsch, ein höfisches Menuett sowie ein abschließender Balletttanz – unmittelbar wirken. Als Debussy – der nie eine Schulbildung genossen hatte (und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen? – sprachlich und intellektuell eine brillante Persönlichkeit war; die Grundlagen des Lesens, Schreibens und Rechnens hatte ihm seine Mutter vermittelt) diese Komposition schuf, hatte er seinen mehrjährigen Studienaufenthalt in Rom hinter sich, war aber als Komponist noch nicht so erfolgreich, sodass er seinen Lebensunterhalt mit kleinen Stücken wie der Petite Suite, als Musikkritiker und Klavierlehrer verdienen musste.

Peter Iljitsch Tschaikowskys sinfonisches Schaffen umfasst sechs umfangreiche Werke, wobei außerhalb von Russland aber nur die heute aufgeführte 5. sowie seine 6. Sinfonie („Pathetique“) häufig gespielt werden. Die Rezeption seiner Musik war in Europa stets eine zwiespältige. In Frankreich warf man ihm seine Abhängigkeit von der deutschen Klassik und Romantik vor; in Deutschland hielt man ihn für einen Französling, der seine russische Eigenart preisgab. In seiner Heimat endlich beschuldigten ihn die Nationalrussen des Internationalismus und der Nachahmung alles Westlichen. Igor Strawinsky urteilte hingegen: „Tschaikowsky war von uns allen der am meisten russische“. Jedenfalls war Tschaikowksy der erste Russe, der der Musik seines Heimatlandes Weltgeltung erwarb. Dem aus der tiefsten Provinz stammenden Komponisten – sein Geburtsort lag etwa 1200 km östlich von Moskau – gelang es durch seine handwerkliche Meisterschaft, viele stilistische, formale und technische Errungenschaften der abendländischen Musikkultur mit den Elementen der russischen Volksmusik zu verschmelzen.
Tschaikowksy sagte von sich selbst: „Das russische Element in meiner Musik – das heißt, die dem russischen Liede verwandte Art und Weise der Melodieführung und ihre Harmonisierung – ist darauf zurückzuführen, dass ich in völliger Weltabgeschiedenheit geboren, von frühester Kindheit an von der unbeschreiblichen Schönheit der charakteristischen Züge der Volksmusik durchdrungen war und ich das russische Element in allen seinen Erscheinungsformen bis zur Leidenschaft liebe; mit einem Wort, dass ich ein Russe bin im erschöpfendsten Sinn des Wortes“.
Um seine Musik zu verstehen, muss man auch Tschaikowskys scheue und überempfindliche Natur bedenken, die dazu führte, dass er seinen Stimmungen und Leidenschaften ausgeliefert war. „Mich reut die Vergangenheit, und ich hoffe auf die Zukunft, ohne mit der Gegenwart zufrieden zu sein“. Oder eine Klage an eine Freundin: „Beide treiben wir im uferlosen Meer des Skeptizismus und suchen einen Hafen, ohne ihn zu finden“. Und über seine eigene Musik: „Immer habe ich mich bemüht, in meiner Musik die ganze Qual und Ekstase der Liebe auszudrücken“.
Seine 5. Sinfonie skizzierte der 48jährige in seinem Landhaus Frolowskoje bei Klin (90 km nordwestlich von Moskau) innerhalb von nur vier Wochen; auch für die – brillante – Instrumentation benötigte er nur drei Wochen. Gewidmet war sie dem Musikkritiker und Musikschriftsteller Theodor Avé-Lallemant. Heute zählt das kompakte Werk, dem ein Programm – das aber absichtlich nicht veröffentlicht und vielleicht nie auch nur ausführlich formuliert wurde - sowie ein melodisches Hauptthema zugrunde liegt, das in allen vier Sätzen in unterschiedlicher Form erscheint, zu einer der beliebtesten Kompositionen Tschaikowskys, in der das „russische Element“ im jähen Wechsel von düsterer Melancholie, zarter Lyrik und wilden Temperamentsausbrüchen, in der grellen Instrumentierung, der Harmonik und der pulsierenden Rhythmik zum Ausdruck kommt. Die Uraufführung war kein Erfolg, und Tschaikowksy selbst schätzte seine 5. Sinfonie überhaupt nicht: „Sie enthält etwas Abstoßendes, ein Übermaß an Farbigkeit und Unechtheit, etwas Gewolltes…“ Die Nachwelt urteilte anders – etwa das Hornsolo im zweiten Satz, die Farbenprächtigkeit des Walzers und die Monumentalität des Finales zählen wohl zum Schönsten, was ein kompositorischer Genius jemals hervorgebracht hat.